
Mentale Gewohnheiten
Eigentlich müsste es uns gut gehen. Wir leben sicher und in Freiheit, haben genug zu essen und so viel Freizeit, dass wir Blogs lesen können – so wie du gerade. Nichtsdestotrotz machen sich viele von uns permanent Sorgen. Wir grübeln über Dinge der Vergangenheit oder Zukunft, über Reales oder Fiktives, über uns selbst oder andere. Auch bei mir dreht das Gedankenkarussell besonders abends seine Runden. Strategien für mehr Gelassenheit und Entspannung beschäftigen mich deshalb schon seit einiger Zeit. Ich habe viele Ratgeberbücher gelesen, die meisten Tipps jedoch zugegebenermaßen nie ausprobiert oder sofort wieder vergessen. Sie erschienen mir oft abstrakt und realitätsfern.
Einige Strategien sind mir allerdings im Gedächtnis geblieben. Zwar machen sie keinen durchweg tiefenentspannten Menschen aus mir, doch sie lassen mich hin und wieder gelassener mit unangenehmen Situationen umgehen. Ich kann mich auch schneller wieder beruhigen, wenn der Gedankenstrudel mich einmal mehr mitgerissen hat. Diese mentalen Gewohnheiten für mehr Entspannung möchte ich dir in diesem Artikel vorstellen.
Gewohnheiten für mehr Entspannung im Alltag
1. Sich mit der zweitbesten Lösung zufriedengeben
Unbegrenzte Möglichkeiten bedeuten für Perfektionisten wie mich die Qual der Wahl. Allein der Kauf eines Shampoos ist für mich eine unlösbare Optimierungsaufgabe, für die ich zehn Minuten oder länger vor dem Regal stehe und überlege. Oft gehe ich unverrichteter Dinge weiter, wenn mich keines der Produkte überzeugt oder die Angst davor überwiegt, eine falsche Entscheidung zu treffen.
Im Internet ufern meine Kaufentscheidungen noch mehr aus, denn dort ist das Recherchieren und Vergleichen leicht und bequem. Kürzlich musste ich eine Software kaufen, mit der ich jedes Jahr meine Steuererklärung erstellen wollte. Es verstrichen mehr als vier Wochen, bis ich mich zu einer Entscheidung zwischen zwei Programm-Versionen durchringen konnte. Der Preisunterschied betrug gerade einmal 30 Euro, doch er fühlte sich an wie 300 Euro.
Noch mehr Zeit verbrachte ich neulich damit, mich im Rahmen der Urlaubsplanung durch verschiedene Reiseportale zu klicken. Als endlich zwei Destinationen in der engeren Auswahl standen, suchte ich jeweils das Hotel mit der höchsten Bewertung zum niedrigsten Preis in bester Lage. Ich verglich alle Kriterien rund um die Zimmer, den Strand, das Essen, las unzählige Bewertungen, recherchierte auf Blogs und in Foren. Zwischenzeitlich war ich so gestresst, dass ich überlegte, zu Hause zu bleiben. Schließlich sprach mein Partner ein Machtwort, legte ein Hotel fest und erlöste uns von der weiteren Recherche.
Die falsche Entscheidung zu treffen – das möchte ich möglichst vermeiden. Dabei wäre oft der einzige Fehler, keine Entscheidung zu treffen und sich von seinem Perfektionismus in die Knie zwingen zu lassen. Das ist mir zwar bewusst, doch oft optimiere ich aus Gewohnheit. Deshalb versuche ich das Optimieren manchmal zu überspringen, d. h. schnell zu entscheiden, ohne alle Alternativen abzuwägen. Das übe ich bei Entscheidungen mit geringer Tragweite, z. B. wenn ich etwas zu essen bestelle oder einkaufe. Ich folge meinem ersten Impuls, statt alle Gerichte auf der Speisekarte zu vergleichen. Ich greife irgendeine Nudelpackung, statt die Zutatenlisten der Alternativen zu sichten. Auf dem Parkplatz nehme ich die erstbeste Lücke, statt weitere Runden zu drehen, und stelle mich an irgendeiner Kasse an, statt die Schlange noch zweimal zu wechseln. Diese Art sich zu entscheiden spart Zeit und Energie. Es fühlt sich gut, frei und leicht an.
Ich kann und will jedoch nicht immer leichtfertig entscheiden. Schließlich sind manche Entscheidungen so kostspielig, dass ich ausführlich abwägen sollte. Wenn allerdings nichts auf dem Spiel steht, will ich mich an solchen Baustellen künftig weniger verausgaben.
Beobachte dich bei der nächsten Entscheidung dabei, wie lange du grübelst, auch wenn die Entscheidung eher unwichtig ist. Versuche zur Abwechslung deinem Bauchgefühl zu folgen und zügig zu entscheiden. Du kannst auch bewusst die zweit- oder drittbeste Alternative wählen. Das kostet Überwindung, ist aber eine gute Übung, um vom Optimieren abzulassen.
2. Das Gute im Unguten erkennen
Es gibt diese Tage, an denen läuft es einfach nicht besonders. Die Bahn fährt vor meiner Nase ab, eine Verkäuferin lässt ihren Frust an mir aus und auf Amazon schreibt jemand eine fiese Rezension über unser Buch. In solchen Momenten gerate ich leicht in einen negativen Gedankenstrudel: „Heute geht aber auch alles schief. Typisch, dass mir das passiert. Es musste ja so kommen. Ich habe es nicht anders verdient. Ich kann sowieso nichts.“ usw. Diese Gedanken lassen meine Laune immer weiter absacken. Außerdem lähmen sie mich, sodass ich stundenlang oder tagelang nicht produktiv arbeiten kann.
Das Problem an negativen Gedankenspiralen ist auch, dass wir ihnen irgendwann glauben, wenn wir sie oft genug im Kopf wiederholen. Die Wahrnehmung wird dadurch selektiver und wir konzentrieren uns nur noch darauf, was alles nicht klappt. Stress und Probleme nehmen immer mehr Raum ein, bis wir vollends deprimiert sind.
In solchen Tiefs hilft die Reframing-Technik aus der Psychotherapie. Sie animiert dazu, das Gute im Unguten zu erkennen und negative Gedankenspiralen zu durchbrechen. Energie fließt schließlich dort, wohin wir unsere Aufmerksamkeit richten. Bei Verlusten und Trennungen konzentriert man sich beispielsweise auf die Chance zu lernen, Dinge zu verändern oder mit anderen Menschen zusammenzurücken. Es geht nicht darum, sich die Dinge schönzureden, sondern sie positiv zu interpretieren. Das stärkt den Fokus auf das Positive sowie unseren Optimismus und macht uns resistenter gegenüber den Widrigkeiten des Alltags.
Auch ich übe seit über zwei Jahren, meine Wahrnehmung vermehrt auf das Gute auszurichten. Manchmal klappt es schon ganz gut, das Glück im Unglück zu erkennen, z. B. als ich kürzlich einen Platten an meinem Fahrrad hatte. Ich ärgerte mich nur einen kurzen Moment, denn dank meines mentalen Trainings kam mir bald der Gedanke: „Gut, dass mir der Platten hier in der Nähe meiner Wohnung passiert ist und nicht am anderen Ende der Stadt.“
3. Annehmen, was sich nicht ändern lässt
Wie oft versuchen wir das Unmögliche und wollen Dinge ändern, die sich unserer Macht entziehen: Wir fluchen über das Wetter, als ob es dadurch weniger regnen würde. Wir schimpfen über andere Autofahrer, als ob sie davon umsichtiger fahren würden. Unpünktliche Züge, penetrante Mitfahrer, die Ungerechtigkeit der Welt – es gibt unendlich viele Dinge, an denen wir nichts ändern können. Auch die Vergangenheit gehört dazu. Trotzdem zerbrechen wir uns über sie den Kopf, analysieren, was wer gesagt hat, und bereuen, was wir getan oder verpasst haben. Der Bestseller-Autor Dale Carnegie vergleicht dies in seinem Buch „Sorge dich nicht – lebe!“ mit dem Sägen von Sägemehl. Das sei offensichtlich sinnlos und reine Energieverschwendung. Er rät dazu, zu akzeptieren, was sich nicht ändern lässt. Auch im Umgang mit anderen Menschen sei dies die einzig sinnvolle Herangehensweise.
„Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
Dieses sogenannte Gelassenheitsgebet stammt vermutlich von dem US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr und spiegelt diese wichtige Denkgewohnheit für mehr Gelassenheit wider: Wir sollten nicht ändern wollen, was wir nicht ändern können. Damit ich diesen Grundsatz nicht vergesse, habe ich ihn auf einem Klebezettel notiert. Er hängt an meinem Bildschirm und dient mir somit jeden Tag als Erinnerung.
Mentale Gewohnheiten für mehr Gelassenheit gegenüber anderen Menschen
Sie drängeln sich vor, sie hören nicht zu, sie mischen sich in unser Leben ein – andere Menschen rauben uns in vielen Situationen Gelassenheit. Allerdings wäre es zu einfach ihnen die Schuld dafür zu geben. Schließlich ist es unser Problem, wenn wir uns von ihnen aus der Ruhe bringen lassen. Die folgenden mentalen Gewohnheiten können dir dabei helfen, mit anderen Menschen gelassener umzugehen.
4. Anderen die Bühne überlassen
Es ist eine seltene Spezies: Menschen, die interessiert zuhören, Fragen stellen und andere ausreden lassen. Stattdessen haken viele bei der kleinsten Gesprächslücke ein, geben ihre Ansichten, Erfahrungen und Ratschläge zum Besten. Manche Menschen kreisen zudem so um sich selbst, dass es ihren Gesprächspartner im Laufe der Stunden auslaugt oder manchmal wütend macht.
In „Alles kein Problem!“ rät der Autor Richard Carlson, solchen Menschen die Bühne zu überlassen. Das sei weniger anstrengend und gleichzeitig vernünftig, denn jeder Mensch sei nun mal der Hauptdarsteller in seinem eigenen Film. Alle anderen seien Nebendarsteller.
So oft wie möglich, versuche ich mich an diese Denkgewohnheit zu erinnern. Dann stelle ich weitere Fragen, statt einzuhaken und meine Meinung kundzutun. Zwar geht mein eigener Redebeitrag dadurch manchmal gen Null, doch ich bleibe entspannt und ruhig. Außerdem honorieren die meisten Menschen gutes Zuhören und revanchieren sich nach einer Weile. Eine Freundin sagte beispielsweise letztens zu mir: „So, jetzt habe ich aber genug geredet. Jetzt erzähl du mal!“
5. Gedanklich abgrenzen
Abgrenzung ist eine der Herausforderungen in meinem Leben. Da ich mich gut in andere Menschen einfühlen kann, spüre ich ihre Erwartungen und Sorgen, und verstricke mich leicht in fremde Angelegenheiten. Ich reiße Aufgaben an mich, die eigentlich nichts mit mir zu tun haben oder erfülle Wünsche in vorauseilendem Gehorsam, obwohl es mir widerstrebt. Das ist erschöpfend und raubt mir manchmal den Schlaf. Beim nächtlichen Grübeln warte ich auf die Idee, die all meine Probleme löst. Dabei sind es oft gar nicht meine Probleme, sondern die von Freunden, Bekannten oder Kunden, denen ich gern helfen würde.
„Helfen Sie zuerst sich und dann anderen“, heißt es bei den Sicherheitshinweisen im Flugzeug immer. Auch im Alltag müssen wir gut für uns sorgen, damit wir anderen überhaupt eine Hilfe sein können. Wenn wir uns allerdings nicht ausreichend abgrenzen können, sind die Energiereserven schnell aufgebraucht.
Für die gedankliche Abgrenzung helfen mir u. a. die folgenden Fragen: „Sind das meine Gedanken oder die des anderen? Sind es meine Gefühle? Ist das meine Meinung?“ Damit versuche ich meinen Part in der jeweiligen Situation zu klären. Meistens hilft es meinem Gegenüber mehr, wenn ich zuhöre und mitfühle – als wenn ich mitleide.
Außerdem versuche ich mich zu zentrieren, wie es Rolf Sellin in seinem Buch „Bis hierhin und nicht weiter“ empfiehlt. Dazu achte ich für einen Moment lang auf das Innere meines Körpers, z. B. meine Atmung, meinen Magen oder Rücken. Während eines unangenehmen Telefongesprächs kann ich so leichter die Ruhe bewahren und mich daran erinnern, dass ich nicht mein Gegenüber bin – und seine Sorgen nicht meine eigenen.
Wie du mentale Gewohnheiten für Entspannung etablierst
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Daher ist es auch so schwierig sich neue Gewohnheiten anzueignen und alte Marotten abzulegen. Körperliche Gewohnheiten sind dabei ähnlich hartnäckig wie mentale Gewohnheiten. Mit der richtigen Herangehensweise kannst du es aber trotzdem schaffen. Die folgenden Tipps sollen dir dabei helfen, die fünf Denkgewohnheiten für mehr Entspannung in deinen Alltag zu integrieren:
1. Nicht zu viel vornehmen
Oft setzen wir uns in einem Moment der Euphorie utopische Ziele. Vielleicht möchtest auch du gleich nach dem Lesen dieses Artikels ein Meister der Gelassenheit werden und dich nie wieder über Probleme beklagen. Aber sind wir realistisch: das schafft niemand. Es ist daher sinnvoller, sich machbare Ziele zu stecken. Du könntest dir zunächst eine der genannten Gewohnheiten aussuchen und daran arbeiten. Dem Gegenüber die Bühne zu überlassen könntest du dir für das nächste Gespräch vornehmen – nicht für die Ewigkeit. Du könntest heute versuchen, Probleme positiv umzudeuten. Wenn das geklappt hat, nimm dir morgen vor oder nächste Woche. Wichtig ist, dir zeitnah ein Erfolgserlebnis zu verschaffen.
2. Hindernisse erkennen und aus dem Weg schaffen
Wie bei allen Gewohnheiten solltest du dir die Veränderung so leicht wie möglich machen. Dazu gehört, Hürden zu erkennen und zu beseitigen. Sind beispielsweise die Menschen um dich herum negativ und stecken dich damit an? Verbringst du zu viel Zeit mit Energieräubern oder lassen dich andere Menschen nicht ausreden, weshalb du sie ebenfalls unterbrichst? Bist du chronisch übermüdet und legst deshalb eine pessimistische Denkweise an den Tag? Nimm für jede neue Gewohnheit, die du angehen möchtest, die Hindernisse unter die Lupe.
3. Für Unterstützung sorgen
Jedes Vorhaben wird leichter, wenn wir uns Unterstützung suchen. Beispielsweise könntest du deinen Partner oder einen Freund dazu animieren, sich ebenfalls eine der mentalen Gewohnheiten für mehr Entspannung anzueignen. Sprecht über eure Erfahrungen und Herausforderungen im Alltag. Dieser Austausch war schon oft der Grund, weshalb Patrick und ich an unseren Gewohnheiten dranblieben.
4. Erfolge messen
Bei neuen Gewohnheiten hilft es vielen Menschen, ihre Fortschritte zu dokumentieren. Dazu kannst du in einem Notizbuch die Gewohnheit eintragen und an jedem erfolgreichen Tag ein Häkchen setzen. Ebenso kannst du Anti-Gewohnheiten notieren, wie z. B. „mich beschweren“ oder „andere beim Reden unterbrechen“. Vielen Menschen hilft die Reihe der Kreuze, weiterhin durchzuhalten.
Über Jasmin Schindler
Jasmin Schindler ist Bloggerin bei Healthy Habits und Autorin von Büchern wie „Esst echtes Essen!“ und „Abgespeckt“. Beruflich wie privat beschäftigt sie sich mit Themen rund um eine gesunde Lebensweise.
Jasmin hatte die meiste Zeit ihres Lebens mit ihrer Figur zu kämpfen. Es hätten in ihren Augen stets ein paar Kilos weniger sein sollen. Sie wollte gern so schlank sein wie andere Gleichaltrige, doch viele Versuche abzunehmen zeigten keine Wirkung. Deshalb stehen die Themen Ernährung und Selbstwertgefühl im Mittelpunkt vieler ihrer Texte. Sie glaubt nicht an Diäten, sondern an Gewohnheiten. Diese sollten wir alle in unseren Alltag integrieren, um auf Dauer schlank und gesund zu bleiben. Frische Lebensmittel und der weitgehende Verzicht auf zugesetzten Zucker sind dabei von zentraler Bedeutung. Unser Essen sollten wir lieber selbst kochen, statt auf Fertiggerichte zurückzugreifen – so die Philosophie von Jasmin und ihrem Blogger-Kollegen Patrick Hundt.
Der Blog Healthy Habits dreht sich um gesunde Gewohnheiten in allen Bereichen des Lebens. Statt nach geheimen Tricks, Wundermitteln oder Abkürzungen zu suchen, empfiehlt Jasmin nachhaltige Routinen für die alltägliche Bewegung, den regelmäßigen Sport, aber auch für alles, was das emotionale Wohlbefinden sowie die persönliche Weiterentwicklung fördert. Da immer mehr Menschen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit stoßen und sich erschöpft fühlen, sind Themen wie Gelassenheit, Glück, Freiheit und Beziehungen zunehmend wichtig. Über genau diese Themen schreiben Jasmin und Patrick bei Healthy Habits sowie hier bei Generali Vitality.